Als Reiter haben wir oft die Tendenz, unsere Pferde nach der Arbeit mit leckerem Müsli oder Kraftfutter zu belohnen. Doch ernährungsphysiologisch betrachtet ist es nicht sinnvoll, unserem geliebten Vierbeiner, ohne vorherige mind. 30-minütige Heugabe direkt das volle Programm an Müsli und Kraftfutter zu servieren.
Warum eigentlich erst Raufutter dann Kraftfutter?
Nun, liebe Pferdefreunde, lasst uns einen wissenschaftlich fundierten Blick auf dieses Thema werfen. Denn hinter dieser scheinbar kuriosen Fütterungspraxis steckt tatsächlich eine Menge Sinn und Verstand.
Der Verdauungstrakt des Pferdes ist darauf ausgelegt, die meiste Zeit des Tages Nahrung zu sich zu nehmen. Das hat sich auch nicht geändert, weil man die Tiere domestiziert hat.
Warum der Satz „Erst Grundfutter, dann Kraftfutter“ eine wichtige Rolle spielt, hat mehrere Gründe:
Kraftfutter bleibt länger im Magen und füllt ihn stärker
Der Magen ist im Verhältnis zum Organismus sehr klein (ca. 10bis 15 Liter Fassungsvermögen) und auf eine kontinuierliche Futteraufnahme kleiner Futtermengen eingestellt. Nach der Bewegung haben die Pferde meistens 2-3 Std. nicht gefressen. Sie stürzen sich gierig auf das Futter und bilden dabei weniger Speichel. Dadurch entsteht ein klumpiger Futterbrei.
Magen- und Darmwand bestehen aus glatter Muskulatur und reagieren empfindlich auf Überdehnung. Durch reflektorische Kontraktion wird –bis zu einem gewissen Grad – der Magen vor Überdehnung geschützt und der Nahrungsbrei gezielt durch das Darmrohr geschleust. Ist der Magen überfüllt, kann es zu Magenrupturen kommen.
Schlechtere Durchmischung mit Magensäure und kein ausreichender pH-Wert
Ein Pferd benötigt zur Aufnahme von 1 kg Heu ca. 40 Minuten. Dabei werden pro Minute ca. 80 Kaubewegungen durchgeführt und 5 – 6 Liter Speichel gebildet.
Zur Aufnahme von 1 kg Hafer benötigt ein Pferd ca. 10Minuten und produziert 1 Liter Speichel. Die Magensäure kann sich mit dem trockenen Futterbrei des Kraftfutters nicht genügend durchmischen und sammelt sich zum einen am unteren Boden des Magens an (Magengeschwüre) und zum anderen wird der pH-Wert des Mageninhaltes nicht genügend abgesenkt. Die mikrobielle Aktivität wird eingedämmt und es können sich schadhafte Bakterien weitervermehren.
Erhöhter Trockensubstanzgehalt im Dünndarm stört die Darmperistaltik.
Frisst das Pferd nach der Kraftfuttergabe Heu, wird das Kraftfutter direkt weitergeleitet in den Dünndarm und erhöht dort den Trockensubstanzgehalt. Dadurch wird die Darmperistaltik gestört, die für die Durchmischung und den Weitertransport des Darminhaltes wichtig ist. Es kann zu Verstopfungen kommen.
Ein Ungleichgewicht an leicht und schwer verdaulichen Kohlenhydraten führt zu Fehlgärungen und die Entstehung von Gasen und Blähungen.
Blinddarm und Dickdarm sind Gärkammern und der Hauptort der Rohfaserversorgung. In ihnen befinden sich Bakterien, deren Hauptaufgabe die Rohfaserzersetzung ist. Um eine effektive Verstoffwechselung der Rohfaser im Blinddarm zu erhalten, ist es wichtig, den Bakterienkolonien ein ausgewogenes Verhältnis an schwer und leicht verdaulichen Kohlenhydraten zukommen zu lassen. Besonders problematisch ist die im Kraftfutter enthaltene Stärke, die durch die vorzeitige Gabe nicht ausreichend im Magen und Dünndarm abgebaut wurde.
Das Problem zieht sich also von vorne bis hinten durch und erhöht viele Risiken wie Magenrupturen, Fehlgärungen und Verstopfung. Es ist aber auch wichtig zu wissen, dass bei einem gestörten Verdauungsablauf auch die Nährstoffverwertung unzureichend ist.
Liebe Pferdefreunde, ich hoffe, dass dieser Artikel dazu beigetragen hat, das komplexe Zusammenspiel zwischen einer gesunden Verdauung, Nährstoffverwertung und Fehlgärungen besser zu verstehen.
Bleibt gespannt auf weitere wissenschaftlich fundierte Einblicke in die faszinierende Welt der Pferdefütterung. Denn nur mit dem richtigen Wissen können wir unsere geliebten Vierbeiner optimal unterstützen und ihnen ein langes und gesundes Leben ermöglichen.
Eure Expertin für Futterberatung Ingrid 🐴😊